Ehrenamtliches Engagement aus lebensweltlicher Sicht

Was trägt die Milieuperspektive für die Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeiter aus?

Zu diesem Thema fand am 21. November 2016 im Bistum Aachen ein Studientag statt, an dem ich u. a. die anhängenden Thesen („Sieben Grundsätze“) vorgetragen habe.

Ziel der Überlegungen war es, drei Perspektiven in Verbindung zu bringen bzw. in ihrem Zusammenhang zu entdecken:

  • die unterschiedliche lebensweltliche Prägung der Menschen, die Kirche, speziell ihre Hauptamtlichen, für die Mitarbeit gewinnen will,
  • die Bedürfnisse der Institution Kirche, die für ihre verschiedenen Arbeitsfelder – teilweise händeringend – nach Mitarbeitern sucht und – so eine weit verbreitete Erfahrung – immer schwieriger welche gewinnt, und
  • die theologische Perspektive auf Kirche als Organismus, mit Paulus: als Leib (1. Korinther 12), dessen Funktionieren vom Zusammenwirken unterschiedlichster Gaben abhängt.

Kernthese 1: Kirchenmitglieder sind heute nicht einfach weniger bereit, mitzuarbeiten. Moralische Urteile verbieten sich. Das Problem liegt nicht in mangelnder Bereitschaft zur Mitarbeit. Das Problem liegt darin, dass die Kirche sich nicht auf die veränderte und breitere Prägung ihrer Mitglieder einstellt.

Kernthese 2: Mitgliederakquise ist auch heute da erfolgreich, wo Kirche von den Menschen her denkt, die sie gewinnen will, und nicht primär von ihren (institutionellen) Bedürfnissen her. Menschen wollen selbst Zwecke sein und nicht „verzweckt“ werden.

Kernthese 3: Beim Prozess der Gewinnung von Mitarbeitern treffen Individuum und Kollektiv, individuelle Wünsche und Bedürfnisse des institutionell organisierten Kollektivs aufeinander.  Es kann helfen, diesen Zusammenhang im Rahmen der Charismenorientierung des Paulus in 1. Kor 12 zu denken. Wir brauchen einander und engagieren uns, aber eben nach Maßgabe der Gaben, milieutheoretisch: der lebensweltlichen Prägungen und Logiken, die wir jeweils mitbringen.

Es zeigte sich, dass eine so gewendete Fragestellung nicht nur neue Potentiale erschließt, sondern das Zeug dazu hat, auch kirchenreformerische Akzente zu setzen. Theologisch gefragt: Was sind denn die Gaben und Begabungen, die Prägungen und Interessen der Menschen, auf die wir vor Ort in den Gemeinden treffen? Wenn wir von ihnen her denken, müssen wir dann nicht traditionelle Erwartungen, Wünsche und Institutionen (für die sich womöglich gar niemand mehr findet) auch zu überdenken bereit sein?

 

Sieben Grundsätze:

(1) Wir wollen Menschen gewinnen zur Mitarbeit. Dafür müssen wir von ihnen her denken:

Mitarbeit muss – für sie  – »passen«;

Mitarbeit muss etwas – für sie  – bedeuten.

Es muss – für sie  – ein individueller Benefit  erkennbar sein.

 

(2) Auch wir möchten uns entlang unseren Begabungen und Stärken einsetzen.

Nahezu jeder macht gerne mit, wenn er zeigen kann, was er kann.

Nahezu niemand ist so masochistisch veranlagt, dass er mitmacht, wenn abzusehen ist, dass man sich blamiert; nicht so gut dasteht; versagt oder auch nur schlechtes Mittelmaß ist.

 

(3) In der Mitarbeit begegnen sich Individuum (mit seinen Begabungen) und Kollektiv (mit seinen Anforderungen !). Die Botschaft: Begabungen  unterscheiden sich, werden aber alle gebraucht.

Im Idealfall ergänzen sie sich im Sinne des Reichtums des Leibes Christi (1Kor 12).

Wir haben hier mitten im Neuen Testament eine Anweisung, Stärken und Gaben wie Begabungen wahrzunehmen und zu nutzen.

Paulus leitet dazu an, diese (1) zu differenzieren und (2) alle wertzuschätzen.

 

(4) Lebensweltperspektive hilft zu einer positiven Sicht der unterschiedlichen Prägungen: Milieuprägungen sind Begabungen (die dem Ganzen dienen).

Es gibt kein „wichtig“ oder „unwichtig“. Für den Organismus sind alle notwendig.

Wir bauen alle am »Haus der lebendigen Steine« (1Petr 2,5) mit, aber eben auf ganz unterschiedliche Weise.

 

(5)  Identifikation mit einem Anliegen, einem Projekt, einer Institution geschieht über Partizipation.

Mitarbeit integriert. Wo ich mitmache, gehöre ich dazu.

Das, wovon ich Teil bin, kann so schlecht nicht sein („Eigengruppenbevorzugung“).

 

(6) Breite Partizipation und Identifikation setzt eine alle Milieus einbeziehende Ressourcen-Anamnese voraus:

Leitfragen:

Was können Sie gut?

Wo liegen die Ressourcen, die Sie in das Ganze einzubringen haben?

 

(7) Wertschätzung ist fundamentale Bedingung für Mitarbeiterakquise. Wertschätzung geschieht schon durch Differenzierung: In der differenzierenden Wahrnehmung liegt schon eine Wertschätzung der einzelnen Person (mit den für sie charakteristischen Prägungen und Begabungen).

 

(Ergänzt wurden die Thesen durch die Übersichten zu den 10 SINUS-Milieu, die sich finden in:

  • MDG-Milieuhandbuch 2013. Religiöse und kirchliche Orientierungen in den SINUS-Milieus
  • Hempelmann et al. (Hrsg.): Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kirche, Neukirchen 2015)

 

 

 

 

 

 

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